Über eine Reise zu den Höhlenkirchen Kappadokiens.

Warum Kappadokien ?
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Abseits der türkischen Metropolen Istanbul und Ankara und den Bettenburgen der touristischen Zentren der Mittelmeerküste liegt Kappadokien. Inmitten der anatolischen Hochebene hat sich durch die Aktivität zahlloser Vulkane und durch unaufhörliche Erosion eine seltsame Landschaft gebildet. Zerklüftete Täler, jähe Felsspalten und schroffe Abhänge voll Geröll wechseln mit weichen, fast organisch anmutenden Felsrücken, die durch Regen und Wind geglättet wurden. Eine typisch kappadokische Erscheinung bilden die sogenannten Feenkamine: Freistehende Nadeln aus Tuffstein, die von wie schiefe Hüte aufsitzenden Brocken härteren Gesteins, etwa Basalt, bedeckt werden. Der Vielfalt der Formen entspricht auch der Farbenreichtum der Landschaft. Rostrote Bergflanken erstrecken sich über schneeweißen Tälern und schwefelgelben Hügelketten. Die Farben der Felsen gaben den Tälern gelegentlich ihre türkischen Namen, so etwa dem Güllüdere, dem rosafarbenen Tal in der Nähe von Çavuþin. Hinzu kommt eine üppige Vegetation, vor allem Wein gedeiht prächtig auf den nahrhaften Böden. Das Gebiet wird im Westen durch den mächtigen Kegel des Hasan Dað beherrscht, im Osten bietet der Erciyes Dað der ehemaligen Bischofsstadt Caesarea, dem heutigen Kayseri, eine beeindruckende Kulisse. Die ungeheuren Massen an Vulkanasche verfestigten sich im Laufe der Jahrtausende zu Tuffstein, der schon den Menschen frühester Zeiten durch leicht zu ergrabende Höhlen Schutz bot.

Der Name Kappadokien geht zurück auf die persische Satrapie Katpatuka. 17. n. Chr. wird das Gebiet unter Kaiser Tiberius dem Römischen Reich als Provinz Cappadocia eingegliedert. Nachdem die Hauptstadt im dritten Jahrhundert nach Byzantion verlegt worden und das Christentum zur Staatsreligion aufgestiegen war, bildete Kappadokien ein wichtiges Zentrum der Christianisierung. Zahllose Eremiten und klosterartig organisierte Mönchsgemeinschaften bevölkerten die Täler Kappadokiens. In den folgenden Jahrhunderten entstand in den vielen Kirchen und Kapellen ein Komplex byzantinischer Wandmalereien, der aufgrund der abgelegenen Lage Kappadokiens in großen Teilen erhalten geblieben und in den heutigen Gebieten des ehemaligen byzantinischen Reiches einzigartig ist.

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Unser Basislager bezogen wir in Avanos, einer kleinen Stadt am Rande des zentralen Gebietes, die vor allem durch ihre Töpferwaren berühmt ist. Das [Sofa] Hotel bot bereits einen gewissen Vorgeschmack auf die Lebensgewohnheiten, die durch die Landschaft geprägt sind: Einige Teile unserer Unterkunft, die aus einem Konglomerat von verschiedenen Gebäuden bestand, waren durch Höhlen miteinander verbunden, die in den weichen Tuffstein geschlagen wurden. Noch für die heutigen Bewohner Kappadokiens ist es üblich, bei Bedarf den Wohnraum in den Fels hinein zu erweitern. Das gleichbleibende Raumklima der Felshöhlen ist hervorragend. Die größten Obst- und Gemüsespeicher der Türkei befinden sich in ausgedehnten Stollensystemen kappadokischer Hügelketten.

Die Höhlenkirchen Kappadokiens sind in ihrer Morphologie breitgefächert und eng an die gebaute, byzantinische Sakralarchitektur angelehnt. Kleine Kapellen von wenigen Quadratmetern Grundfläche sind ebenso anzutreffen wie Kreuzkuppelkirchen, große, dreischiffige Basiliken und monumentale Kuppelräume. Die Fassaden sind oft mit Blendbögen, gelegentlich auch mit Giebeln geziert. Einige der wichtigsten Höhlenkirchen Kappadokiens sind auch topographisch in exponierter Lage. Schon von weitem sichtbar sind ihre Fassaden an steilen Felswänden oder markanten Landschaftspunkten errichtet worden. Für die in ihrer Datierung umstrittene Johannes-Kirche in Çavuþin etwa lässt sich eine repräsentative Säulenfassade mit starken Anleihen an antike Architekturformen rekonstruieren. [...]. Anders als gebaute Architekturen, die Mauern und andere tragende Teile wie etwa Säulen aufbauen, den Raum also durch Konstruktion erschaffen und einschließen, ist die Vorgehensweise bei den Höhlenkirchen umgekehrt: Hier wird ex negativo gearbeitet, d. h. der zu ergrabende Raum erschafft die Architektur, Säulen oder Arkaden werden aus dem anstehenden Gestein geformt. Ausgehend von den Vorbildern der gebauten Architektur werden auch Elemente wie Pilaster zur Wandgliederung übernommen, die allerdings keine tektonische Funktion mehr besitzen. Auch die liturgische Ausstattung der Höhlenkirchen wurde in gleicher Weise geschaffen. So finden sich in vielen Kirchen Altäre, Chorschranken und umlaufende Sitzbänke, die aus Stein geformt wurden.

Doch nicht nur Kirchen wurden in den weichen, leicht zu bearbeitenden Tuffstein Kappadokiens gegraben. Refektorien mit langen, in Stein gehauenen Tischen und Bänken finden sich in den Klosterbezirken ebenso wie Küchen, Ställe und unzählige Räume unklarer Nutzung. Einige Kirchen wurden im übrigen bis in jüngste Zeit als Taubenschläge verwendet, die Bezeichnung einer Kirche in Çavuþin als "Großer Taubenschlag" zeugt noch heute davon. Viele der exponiertesten Felsen sind von einem Gewirr von Räumen und Gängen durchzogen, die durch Abbrüche und Einstürze zum Teil auch von außen sichtbar sind. Stellvertretend sei hier der beeindruckende Burgberg von Uçhisar genannt, der durch seine Lage weite Teile Kappadokiens beherrscht.

Ein anderes Phänomen Kappadokiens schlug gleichsam die entgegengesetzte Richtung ein: Unterirdische Städte, die bis zu zwanzig Stockwerke tief in den Fels getrieben wurden. Bei einem Besuch in Derinkuyu konnten wir eine dieser Städte begehen. Ein ausgeklügeltes System vertikaler Schächte durchzieht die gesamte Anlage und sorgt für ausreichende Belüftung. Die engen, meist auch äußerst niedrigen Gänge konnten mit schweren, mühlsteinartigen Steinen bei Gefahr (wie die Schotten auf einem Schiff) verschlossen werden, ganze Bereiche der Stadt wurden so abgeriegelt.

[...] Die höchste Dichte kappadokischer Wandmalerei findet sich heute in Göreme, einem Tal unweit des gleichnamigen Dorfes. Das Freilichtmuseum birgt zwölf Kirchen mit weitgehend erhaltenen Malereien. Aufmerksamkeit verdienen hier vor allem die nach ihrer architektonischen Form als Säulenkirchen benannten Kirchen aus der Mitte des 11. Jahrhunderts. Ihre Freskenausstattungen von durchgehend höchster Qualität zeigen ausgedehnte christologische Bilderzyklen. Von besonderem Interesse war hier die Untersuchung der inneren Chronologie nach ikonographischen und stilistischen Kriterien.

Das großartigste Zeugnis byzantinischer Wandmalerei in Kappadokien findet sich in der Tokalý Kilise, ebenfalls in Göreme. [...]. Zwei unterschiedliche Ausstattungsphasen werden hier unterschieden: Die ältere Tokalý-Kilise, deren Fresken vom Anfang des 10. Jahrhunderts stammen, wurde um 950 um einen gewaltigen Kirchenraum erweitert, dessen Wände und tonnengewölbte Decke mit großartigen Fresken ausgestattet wurden. Der christologische Zyklus an den Wänden und die monumentale Himmelfahrtskomposition im Gewölbe nehmen Stilelemente der sogenannten "Makedonischen Renaissance" auf, einer verfeinerten Kunstauffassung, die vor allem im Umkreis des byzantinischen Kaiserhofes zu finden ist.

In den Fresken der neuen Tokalý-Kilise kann demnach ein Reflex hauptstädtischer Kunst erkannt werden. Für eine enge Verbindung mit Konstantinopel spricht auch der materielle Aufwand: Der Hintergrund sämtlicher Bildfelder ist in tiefem Blau gefasst, das aus reinem Lapislazuli besteht. Eine kaiserliche Stiftung ist hier wahrscheinlich. Enge ikonographische Zusammenhänge bestehen mit der Kirche im sogenannten Großen Taubenschlag in Çavuþin, deren Freskenausstattung dank eines bezeichneten Portraits des Kaisers Nikephoros II. Phokas in dessen Amtszeit von 963 bis 969 entstanden sein müssen. Da die Fresken in Çavuþin eindeutig abhängig sind von denen der neuen Tokalý-Kilise, ergibt sich für letztere eine Entstehungszeit vor 963. Die eindeutige Datierbarkeit der Kirche von Çavuþin ist ein Glücksfall. Jede Beschäftigung mit der byzantinischen Wandmalerei Kappadokiens steht vor zwei grundsätzlichen Problemen: Zum einen sind nur sehr wenige Kirchen durch äußere Anhaltspunkte, etwa durch Inschriften, fest datierbar. Zum anderen ist die stilistische und auch qualitative Bandbreite der Fresken äußerst weit, so dass es mit großen Schwierigkeiten verbunden ist, ein geschlossenes Bild von der Entwicklung der kappadokischen Wandmalerei zu zeichnen. Hinzu kommt, dass für die allerwenigsten kappadokischen Höhlenkirchen die ursprünglichen Patrozinien überliefert sind. Die Wissenschaft operiert daher entweder mit einem Nummernsystem oder mit den türkischen Namen der Kirchen. Diese richten sich meist nach Details der Freskenausstattungen. Besonders häufig ist die Bezeichnung als Üzümlü Kilise anzutreffen, als Trauben-Kirche, benannt nach dem eucharistischen Symbol, dass in vielen Fresken verbildlicht wurde. Andere Kirchen wurden nach ihrer topographischen Lage benannt: Die Ayvalý Kilise im Güllüdere etwa bezieht sich möglicherweise auf einen Quittenbaum, der zur Entstehungszeit des Namens in der Nähe der Kirche stand. Auch diese Kirche ist durch eine Inschrift fest datiert (913-920).

Etwas früher ist wohl die sogenannte Basileios Kilise entstanden. Auf der Suche nach dieser Kirche, die in einen Felsabhang eines Tales unweit von Ürgüp geschlagen wurde, mussten wir mannshohe Brennesselfelder und tiefe Felsschluchten durchqueren, so dass die Exkursion streckenweise wahrhaft zu einer Expedition wurde. Lohnenswert war der Besuch dennoch, da es sich hier um eine der äußerst seltenen ikonoklastischen Kirchenausstattungen handelte. Entstanden während oder kurz nach dem byzantinischen Bilderstreit (726-843), ist die Apsis nur mit Kreuzen und ornamentalen Medaillons versehen, die inschriftlich als Abraham, Isaak und Jakob bezeichnet sind.

Am anderen Ende der chronologischen Skala steht die Johannes-Kirche in Gülþehir. Auch deren Fresken sind inschriftlich datiert (1212) und markieren das Ende der kappadokischen Wandmalerei. Durch die Eroberung Kappadokiens durch die Seldschuken in den Jahren nach 1071 wurde der künstlerische Austausch mit dem maßgeblichen Zentrum Konstantinopel unterbrochen. Zwar entwickelte sich die Wandmalerei noch einige Zeit weiter, verlor sich aber bald in einem rauhen, bäuerlichen Stil, der nichts mehr gemein hatte mit den prachtvollen Kirchenausstattungen früherer Zeiten. Die Fresken von Gülþehir sind hier ein deutliches Beispiel.

Am Ende der Exkursion waren viele der Fragen gelöst, die im Seminarraum entstanden waren. Andere Probleme traten erst vor Ort hinzu und harren ihrer Lösung. [...]

Von Thomas Labusiak

Quelle: www.presse.uni-augsburg.de/unipress/up20011/artikel_18.html